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Vergaberecht

Dringlichkeitsbeschaffungen in der Corona-Pandemie

Der Beitrag wurde verfasst von Dr. Bettina Tugendreich, Partnerin, Rechtsanwältin der Raue Partnerschaft von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen mbB

Auch bei Beschaffungen, gestützt auf den vergaberechtlichen Ausnahmetatbestand der äußersten Dringlichkeit (vgl. § 14 Absatz. 4 Nummer 3 Vergabeverordnung), hat ein Auftraggeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel mehrere Angebote einzuholen. Ein völliger Verzicht auf Wettbewerb kommt nur ultima ratio in Betracht.

Sachverhalt

Gegenstand des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens ist ein Auftrag zur Durchführung von anlasslosen Corona-Tests in Alten- und Pflegeheimen. Ein solcher Vertrag wurde mit der Beigeladenen abgeschlossen, und zwar nachdem über den Vertragsschluss circa einen Monat verhandelt worden war. Der Auftraggeber hat den Auftrag ohne Ausschreibung im Wege der Direktvergabe ohne Verhandlungen mit weiteren Wettbewerbern an die Beigeladene vergeben. Der Auftraggeber berief sich auf den Ausnahmetatbestand des § 14 Absatz 4 Nummer 3 Vergabeverordnung (VgV). Danach können Leistungen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren vorgesehen sind. Der Auftraggeber hatte sich im Hinblick auf die Direktvergabe ausdrücklich auf das Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums vom 19. März 2020 zum Umgang mit den vergaberechtlichen Mechanismen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie berufen, in dem es auszugsweise heißt:

„In dieser Situation sind die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für den Einkauf von Leistungen über Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gegeben, die der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie […] dienen.“

Auch in der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 1. April 2020 zur Nutzung des Rahmens in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation (2020/C1081/01) wird die Möglichkeit einer solchen Vergabe wegen äußerster Dringlichkeit ebenfalls für Beschaffungen im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie befürwortet.

Die Antragstellerin erfuhr von der Auftragsvergabe aus der Tagespresse. Sie hatte sich zuvor ebenfalls an den Auftraggeber gewandt und ihre grundsätzliche Bereitschaft angezeigt, entsprechende Tests anbieten zu können. Mit einem Nachprüfungsantrag wandte sich die Antragstellerin an die Vergabekammer: Der zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag sei unter Verstoß gegen das Vergaberecht abgeschlossen worden und deshalb unwirksam.

Entscheidung

Das zuständige Oberlandesgericht Rostock teilt diese Einschätzung. Der mit der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag ist unter Verstoß gegen die Vorgaben des Vergaberechts abgeschlossen worden.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) Rostock sei zwar der Tatbestand des § 14 Absatz 4 Nummer 3 VgV erfüllt und es lägen äußerst dringliche, zwingende Gründe vor. Daraus folge aber nicht, dass der Auftraggeber die Beigeladene im Wege einer Direktvergabe beauftragen durfte, ohne an andere potenzielle Anbieter heranzutreten. Der Auftraggeber hätte vielmehr im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung zumindest Wettbewerb „light“ ermöglichen und hierzu – wenigstens – ein Angebot der Antragstellerin einholen müssen.

Das hier erfolgte gänzliche Absehen vom Wettbewerbsprinzip gemäß § 97 Absatz 1 Satz 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) war nach Einschätzung des OLG Rostock ermessensfehlerhaft. Der vergaberechtliche Ausnahmetatbestand des § 14 Absatz 4 Nummer 3 VgV der äußersten Dringlichkeit eröffnet auf der Rechtsfolgenseite zwar die Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Die Einschränkung des Wettbewerbs muss aber verhältnismäßig, insbesondere erforderlich seien. Grundsätzlich sei deshalb auch im Rahmen des Ausnahmetatbestandes gemäß § 14 Absatz 4 Nummer 3 VgV so viel Wettbewerb wie möglich zu eröffnen. In der Regel müssten daher mehrere Angebote eingeholt werden und der Auftraggeber dürfe sich nicht auf Direktansprachen nur eines Anbieters beschränken. Ein solcher vollständiger Verzicht auf Wettbewerb kommt nur als ultima ratio in Betracht. Ein solcher Extremfall lag nach Einschätzung des Oberlandesgerichts Rostock nicht vor, da jedenfalls andere Angebote innerhalb weniger Tage hätten eingeholt werden können und im Vergleich hierzu auch die Verhandlungen mit der Beigeladenen circa einen Monat in Anspruch genommen haben.

Interessant an der Entscheidung ist zudem, dass das OLG Rostock das Argument des Auftraggebers, aufgrund der vielfältigen Aufgaben im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie könnte der Auftraggeber den zusätzlichen Aufwand für die Einholung weiterer Angebote nicht bewältigen, als nicht gerechtfertigt ansieht. Dieses Argument begegne bereits im Ansatz rechtlichen Bedenken, da die Wahrung vergaberechtlicher Vorgaben nicht von der jeweiligen Personalausstattung der Vergabestelle abhängig gemacht werden dürfe. Personalmangel ist also vergaberechtlich kein Argument, um auf die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens zu verzichten.

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