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Rechnungslegung

Folgen der Corona-Krise für die Going-Concern-Prämisse

Einleitung

Bedingt durch die Corona-Pandemie und den hierdurch ausgelösten massiven Einbruch der weltweiten Wirtschaft haben zahlreiche Unternehmen negative Auswirkungen auf ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu beklagen. Viele vormals als „kerngesund“ geltende Unternehmen sehen sich nunmehr Corona-induziert mit der (ungewohnten) Frage konfrontiert, ob ihr aktueller Jahres- bzw. Konzernabschluss noch unter der Aufrechterhaltung der Fortführungsannahme aufgestellt werden kann und bejahendenfalls welche Nachweis-, Dokumentations- und Berichtspflichten im Falle festgestellter bestandsgefährdender Risiken zu beachten sind. Eine besondere Schwierigkeit stellt in diesem Zusammenhang die hohe Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Pandemie und die Dauerhaftigkeit der hervorgerufenen Krise dar, wodurch das Marktumfeld und die Prognose des weiteren Geschäftsverlaufs zunehmend unkalkulierbar werden.

Identifizierung von bestandsgefährdenden Risiken

Risikoabstufung bei der Going Concern-Beurteilung

Die Annahme der Unternehmensfortführung („Going Concern-Prämisse“) steht grundsätzlich dann außer Frage, sofern eine „Schönwettersituation“ besteht, das heißt wenn das Unternehmen in der Vergangenheit nachhaltige Gewinne erzielt hat, leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen kann und keine bilanzielle Überschuldung droht. Unter diesen Voraussetzungen können die gesetzlichen Vertreter die Fortführung des Unternehmens ohne weitere Beurteilungshandlungen unterstellen.

Dagegen ist die Abkehr von der Going Concern-Prämisse geboten, sofern konkrete rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten vorliegen, die der Unternehmensfortführung entgegenstehen. Exemplarisch seien die eingetretene oder drohende Insolvenz sowie der von den Gesellschaftern getroffene Beschluss zur Liquidation der Unternehmung genannt. In entsprechenden Fällen hat die Aufstellung des Abschlusses und die Bewertung des Vermögens unter Liquidationsgesichtspunkten zu erfolgen; es wird mithin die Zerschlagung des Unternehmens antizipiert.

Zwischen diesen beiden Extremsituationen – nahezu sicherer Unternehmensfortführung einerseits sowie Non-Going Concern andererseits – sind in Abhängigkeit vom Wahrscheinlichkeitsgrad der Unternehmensfortführung weitere Zustände bzw. Szenarien zu unterscheiden, die sich durch entwicklungsbeeinträchtigende sowie bestandsgefährdende Risiken charakterisieren.

Entwicklungsbeeinträchtigende und bestandsgefährdende Risiken

Im Rahmen der Going Concern-Einschätzung haben die gesetzlichen Vertreter zu beurteilen, ob eine wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang mit Ereignissen oder Gegebenheiten vorliegt, die einzeln oder insgesamt bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können.

Sofern zwar Ereignisse oder Gegebenheiten vorliegen, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit zur Unternehmensfortführung aufwerfen können, jedoch (noch) keine wesentliche Unsicherheit im Sinne bestandsgefährdender Risiken besteht, handelt es sich (noch) um eine entwicklungsbeein­trächtigende Situation. In diesem Fall haben sich die bestehenden Risiken noch nicht derart konkretisiert bzw. entfalten noch keine solch große Auswirkung, dass schon von einem bestandsgefährdenden Risiko auszugehen ist. Es obliegt dem Ermessen der gesetzlichen Vertreter, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang solche entwicklungsbeeinträchtigende Risiken im Anhang bzw. Lagebericht darzustellen und zu erläutern sind.

Demgegenüber ist eine Bestandsgefährdung („wesentliche Unsicherheit“) dann gegeben, wenn sich das Unternehmen in einer ernsthaften Erfolgs- und Liquiditätskrise befindet und wenn ernsthaft damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen in absehbarer Zeit seinen Geschäftsbetrieb nicht weiter fortführen kann. In diesem Zustand sind die möglichen Auswirkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit so groß, dass angemessene Angaben im Abschluss bzw. Lagebericht zu Art und Auswirkungen der wesentlichen Unsicherheit notwendig sind, um einen irreführenden Abschluss zu vermeiden.

In der derzeitigen Corona-Krise lassen sich vor allem folgende COVID-19-induzierte Anzeichen für bestandsgefährdende Risiken hervorheben, die unter Umständen – je nach Ausmaß und Zusammenspiel – sogar die Abkehr von der Fortführungsannahme begründen können:

  • (temporäre) Schließungen von Betrieben oder Betriebsteilen;
  • beschaffungsseitige Lieferengpässe (bspw. durch Unterbrechungen oder den Zusammenbruch von Lieferketten);
  • (teilweiser) Wegfall von Absatz- oder Beschaffungsmärkten;
  • eingeschränkte Produktionsmöglichkeiten (bspw. mangels verfügbarer Vorprodukte) sowie
  • Verletzung von financial covenants mit nachteiligen Folgen wie bspw. verschlechterter Finanzierungskonditionen.

Reaktion auf identifizierte bestandsgefährdende Risiken

Notwendigkeit, Aufbau und Methodik des Finanzplans

Die Finanz- bzw. Liquiditätsplanung ist das entscheidende Instrument der Unternehmensführung in der Krise, denn nur durch die dauerhafte Zahlungsfähigkeit ist die Existenz des Unternehmens gesichert. Dementsprechend muss die Summe aus Zahlungsmittelbestand und Einzahlungen in jeder (Plan-) Periode mindestens so hoch sein wie die Auszahlungen. Der Finanzplan ist daher der Kern der von den gesetzlichen Vertretern zu erstellenden und zu dokumentierenden Fortführungsprognose, der ausgehend vom Bilanzstichtag einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten zu umfassen hat. Ergänzend sind etwaige geplante oder anderweitige Ereignisse oder Gegebenheiten zu berücksichtigen, die nach dem zwölfmonatigen Prognosezeitraum eintreten.

Im Finanzplan sind die erwarteten laufenden Ein- und Auszahlungen während des Prognosezeitraums zu erfassen. Der Finanzplan bezieht sich auf das gesamte Unternehmen und hat sämtliche mit Zahlungen verbundenen Prozesse zu berücksichtigen. Es bedarf daher einer umfassenden Koordination der verschiedenen Fachfunktionen (Einkauf, Vertrieb, Produktion und andere) innerhalb des Planungsprozesses, um die verschiedenen Teilplanungen – Absatz-, Produktions-, Beschaffungs-, Personal- und Investitionspläne – unter Berücksichtigung der innerbetrieblichen Interdependenzen zu validieren und im Finanzplan zu konzertieren. Ein Beispiel zum Finanzplan und weitere Erläuterungen zum Aufbau sind in der ausführlichen Version des Aufsatzes enthalten.

Für Zwecke der Fortführungsprognose bei Bestandsgefährdung wird auf Basis der Teilplanungen zudem eine integrierte, nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen erstellte und für einen sachverständigen Dritten nachvollziehbare Erfolgs-, Bilanz- und Finanzplanung des Unternehmens gefordert. Der integrierte Finanzplan soll die zukünftige Geschäftsentwicklung unter Beachtung der bestehenden Unsicherheitsgrade abbilden und dabei einen Ausgleich zwischen gebotener Detaillierung einerseits und Übersichtlichkeit andererseits finden. Hierbei gilt es insbesondere die angewandten Prognoseverfahren, die zugrunde liegenden Annahmen und die ggf. geplanten Maßnahmen zur Krisenüberwindung zu dokumentieren, die der Abschlussprüfer wiederum auf Verlässlichkeit und Begründetheit zu beurteilen hat. Das Grundschema einer integrierten Finanzplanung ist in der ausführlichen Version dieses Aufsatzes dargestellt.

Sensitivitätsanalysen

Bedingt durch seine Zukunftsbezogenheit sowie aufgrund der sachlichen und zeitlichen Abhängigkeiten zwischen den Teilplänen weist der Finanzplan naturgemäß Prognoseunsicherheiten auf, die durch die derzeit bestehende pandemiebedingte Ungewissheit zukünftiger Entwicklungen umso stärker ausfallen. Die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit ist daher im Krisenfall und bei identifizierten bestandsgefährdenden Risiken durch unterschiedliche Szenarien zu validieren, in denen verschiedene Prämissen und Wahrscheinlichkeiten zugrunde gelegt werden. Hierbei werden die zukünftige Entwicklung und die Folgen für den Cashflow unter alternativen Rahmenbedingungen eingeschätzt, wobei regelmäßig zwischen der schlechtesten („worst case“), der besten („best case“) und der wahrscheinlichsten („most likely“) Zukunftsalternative differenziert wird.

Berichterstattung über Bestandsgefährdung im Abschluss und Lagebericht

Die Aufstellung des Jahresabschlusses und – sofern einschlägig – des Lageberichts impliziert auch die im subjektiven Ermessen der gesetzlichen Vertreter liegende Einschätzung, ob entwicklungsbeeinträchtigende oder bestandsgefährdende Risiken bestehen. Sollten die gesetzlichen Vertreter Zweifel an der Fortführungsfähigkeit haben, weil wesentliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit Ereignissen oder Gegebenheiten bestehen, die nicht bis zur Beendigung der Aufstellung des Abschlusses ausgeräumt werden, ist im Abschluss und ggf. Lagebericht in angemessener Weise anzugeben,

  • dass ein bestandsgefährdendes Risiko besteht und das Unternehmen möglicherweise nicht in der Lage ist, im gewöhnlichen Geschäftsverlauf seine Vermögenswerte zu realisieren sowie seine Schulden zu begleichen;
  • worin die zugrunde liegenden Ereignisse liegen und
  • welche Pläne im Umgang mit diesen existieren.

Die Angemessenheit der Berichterstattung zu bestandsgefährdenden Risiken im Anhang bzw. Lagebericht ist zwingende Voraussetzung für die Erteilung eines uneingeschränkten, das heißt nicht modifizierten Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer.

Die Verortung der verpflichtenden Berichterstattung zu bestandsgefährdenden Risiken divergiert in Abhängigkeit davon, ob das Unternehmen seinen Jahresabschluss (Bilanz und GuV) um einen Anhang zu erweitern hat sowie ob es ggf. ergänzend einen Lagebericht aufzustellen hat.

Hinsichtlich der unterschiedlichen Varianten der Berichterstattung über Bestandsgefährdung im Abschluss und Lagebericht sowie über „best practice“-Beispielformulierungen für Anhang und Lagebericht unterstützt Warth & Klein Grant Thornton Sie gerne – sprechen Sie uns hierzu bei Bedarf gerne an!

Fazit

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste weltweite Wirtschaftskrise hat bei zahlreichen Unternehmen oftmals signifikant negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zur Folge. Obgleich die meisten Unternehmen (hoffentlich) nachhaltig überlebensfähig bleiben und ihren Abschluss weiterhin unter Going Concern aufstellen können, werden regelmäßig bestandsgefährdende oder zumindest entwicklungsbeeinträchtigende Risiken festzustellen sein, die es in der Rechnungslegung angemessen zu berücksichtigen gilt. Den gesetzlichen Vertretern obliegen insoweit umfassende Nachweis-, Dokumentations- und Berichtspflichten.

Kern der im Falle einer Bestandsgefährdung gebotenen Fortführungsprognose ist ein integrierter Finanzplan, in dem die vielen Einflussfaktoren und unterschiedlichen Inputgrößen mit ihren jeweiligen Interdependenzen vollständig zu berücksichtigen und sorgfältig abzuwägen sind. Die ohnehin schon hohe Komplexität wird – in Zeiten der Corona-Pandemie umso mehr – durch die erheblichen Prognoseunsicherheiten zusätzlich verstärkt. Umso bedeutsamer erscheint eine frühzeitige und revolvierende Auseinandersetzung mit dieser besonderen Herausforderung, wobei der Abschlussersteller das hohe Maß an subjektivem Ermessen unter Beachtung des anerkannten handelsrechtlichen Grundsatzes der kaufmännischen Vorsicht ausüben sollte.

Schließlich stellt auch die angemessene Darstellung bestandsgefährdender Risiken im Abschluss bzw. Lagebericht eine ambitionierte Aufgabe dar, die wiederum vom Abschlussprüfer – ebenso wie die Einschätzung der Going Concern-Annahme als solche – zu beurteilen und zu bestätigen ist.

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