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Corona-Krise

Auswirkungen auf die deutsche Energiebranche

1) Einleitung

Die Corona-Pandemie hat weltweit einschneidende Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben. Auch in Deutschland haben Unternehmen vieler Branchen in den vergangenen Wochen und Monaten einen plötzlichen und weitreichenden Wegfall ihrer Umsätze in bisher ungekanntem Ausmaß erlitten. Prognosen über die weiteren kurz- und mittelfristigen Auswirkungen sind dabei mit hoher Unsicherheit behaftet.

Im Unterschied zu vielen anderen Wirtschaftszweigen wird zumindest in Deutschland die grundsätzlich für konjunkturelle Schwankungen wenig anfällige Energiebranche auch in der derzeitigen Ausnahmesituation als weitgehend stabil wahrgenommen. Die Aktivitäten vieler Unternehmen (unter anderem Energieerzeuger, Netzbetreiber, Stromversorger) gehören zur kritischen Infrastruktur. Die großen deutschen Energieversorger E.ON und RWE verkündeten jüngst im Rahmen der Veröffentlichung der Zahlen für das 1. Quartal, bisher gut durch die Krise gekommen zu sein, die Aktienkurse beider Unternehmen lagen Mitte Mai sogar wieder auf dem Niveau des Vorjahresendes. Wenig überraschend ist daher die Energiebranche auch nicht Gegenstand der aktuellen Diskussion um staatliche Unterstützungsmaßnahmen.

Gleichzeitig befinden sich die Energiemärkte seit März dieses Jahres in erheblichen Turbulenzen, sodass die Frage naheliegt, inwieweit auch deutsche Energieunternehmen kurz- oder mittelfristig die Folgen der Corona-Pandemie finanziell zu spüren bekommen. Wir geben nachfolgend einen kurzen Überblick über die Entwicklung einiger wesentlicher Marktparameter und einen Kurzausblick auf mögliche Belastungen für die Energiebranche in Deutschland.

2) Entwicklung der Energiemärkte in der Corona-Krise

Die weltweiten Energie- und Rohstoffmärkte sind von den globalen Nachfragerückgängen massiv getroffen worden. Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Preisverfall des weltweit wichtigsten Energieträgers Öl. Die fehlende Einigkeit der OPEC-Staaten verhinderte eine adäquate Reduzierung der weltweiten Fördermengen in Reaktion auf den Nachfragerückgang in der Corona-Krise, sodass aufgrund der endlichen Lagerkapazitäten die kurzfristigen Terminpreise für die Rohölsorte WTI im April zwischenzeitlich sogar in den negativen Bereich abrutschten – eine historisch einmalige Entwicklung. Die für Europa wichtigste Rohölsorte Brent verzeichnete in den Monaten März und April einen vergleichbaren Preisverfall, seit Jahresbeginn steht ein Preisrückgang von über 40 % (Stand 15.05.2020).

Infolge der Corona-Krise sind auch die Preise für andere Energieträger rückläufig. So ist der Kohlepreis seit 01.01.2020 um knapp 20 % gefallen. Auch die bereits seit Jahresbeginn 2019 deutlich gesunkenen Preise für Erdgas haben in den ersten Monaten des Jahres 2020 weiter nachgegeben, zwischenzeitlich um rund 15 % gegenüber dem Jahresanfang. In den vergangenen Wochen hat der Gaspreis eine kurze Gegenbewegung gestartet, sich jedoch im Mai wieder in Richtung historischer Tiefststände zurückbewegt.

 

Abb.1_Entwicklung Terminpreise für Erdöl, Steinkohle und Erdgas_200608_n....png

Der Stillstand des wirtschaftlichen Lebens zeigte sich auch in der Entwicklung der Strommärkte. Ein Vergleich des täglichen Stromverbrauchs in den ersten 4 Monaten des Jahres 2020 mit dem entsprechenden Zeitraum der Jahre 2018 und 2019 am Beispiel Deutschlands verdeutlicht die Auswirkungen des flächendeckenden Shutdowns.

 

Abb.2_Täglicher_Stromverbrauch_Deutschland_Jan-Apr_200609_nst.png

Während sich der Stromverbrauch bis Mitte März 2020 unter Berücksichtigung jahresspezifischer Besonderheiten (zum Beispiel der kühlen Witterung im Frühjahr 2018) in der üblichen Schwankungsbreite der Vorjahresniveaus bewegte, sind in der Folgezeit signifikante Abweichungen zu beobachten. Zwischen Mitte März und Ende April 2020 lag der Stromverbrauch in Deutschland infolge der Produktionsrückgänge in der Industrie und der umfassenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens rund 7 % unterhalb des Durchschnittsniveaus der Jahre 2018 und 2019.

Wie aus nachfolgender Abbildung ersichtlich, sind in den anderen großen europäischen Ländern, die in den letzten Monaten von der Corona-Pandemie deutlich heftiger betroffen waren, noch größere Verbrauchsrückgänge als in Deutschland zu verzeichnen. So weist insbesondere Frankreich einen starken Rückgang im Vergleich zum Vorjahr in Höhe von 11 % auf. Aber auch in Italien (-10 %), Spanien (-7 %) und dem Vereinigten Königreich (-6 %) lag der kumulierte Stromverbrauch in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 deutlich unterhalb der Vorjahre.

 

Abb.3_Kumulierter_Stromverbrauch_I_ES_UK_F_Jan-Apr_200609_nst.png

Insbesondere infolge der gesunkenen Stromnachfrage und der rückläufigen Rohstoffpreise kam es zu einem europaweiten Einbruch der Börsenstrompreise seit Jahresbeginn. An den Spotmärkten waren an vielen Tagen negative Preise zu beobachten und auch die Strompreise für die kurz- bzw. mittelfristigen Terminkontrakte entwickelten sich deutlich rückläufig. Nachfolgende Grafik zeigt beispielhaft die Entwicklung für deutsche Terminkontrakte für die Lieferzeiträume Juni 2020 bzw. Kalenderjahr 2021. Zwischen Januar und April 2020 fielen die entsprechenden Terminpreise um 32 bzw. 17 %. Für die übrigen europäischen Märkte konnten ähnliche Entwicklungen beobachtet werden.

 

Abb.4_Entwicklung_Terminpreise_Stromlieferungen_2020_2021_200609_nst.png

Zusätzlich preisdrucksteigernd wirkte insbesondere in Deutschland das außergewöhnliche hohe Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien im Frühjahr 2020. Dass der Preisrückgang kurzfristiger Monatsfutures besonders ausgeprägt ist, dürfte ferner der zusätzlichen Angebotserhöhung durch Rückvermarktung von Strom geschuldet sein. So geben nach einer Analyse des BDEW derzeit vermehrt Stromvertriebsfirmen einen Teil des von ihnen im Voraus beschafften Stroms wieder kurzfristig in den Markt zurück in der Erwartung, dass sie diesen Strom im Zuge der eingebrochenen Nachfrage bei ihren Endkunden nicht werden absetzen können.

Bestandteil der Stromproduktionskosten der meisten konventionellen Kraftwerkstypen sind auch die Kosten für den Erwerb von CO2-Emissionszertifikaten. Veränderungen des CO2-Preises haben somit immer auch Rückwirkungen auf die Höhe des Strompreises. Stillstehende Produktionen, geringere Stromerzeugung und weniger Flugverkehr haben bekanntermaßen zu einer temporären Verringerung der CO2-Emissionen geführt. Wenig überraschend ist daher auch für den Preis für CO2-Emissionszertifikate ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. So ist der CO2-Preis im Emissionshandel im Vergleich zum Jahresanfangsniveau zwischenzeitlich um 37 % (18.03.2020) gefallen, in der Folgezeit setzte wieder eine leichte Erholung ein. Zum Ende des Monats April stand jedoch noch immer ein Minus im Vergleich zum Jahresanfang von 20 %.

 

Abb.5_Preis_CO2-Emissionszertifikate_Jan-Apr_200609_nst.png

3) Auswirkungen auf die deutsche Energiebranche – Kurzausblick

Auch wenn die finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energiesektor in Deutschland zumindest in der öffentlichen Diskussion bisher als eher gering eingestuft werden, so dürften bei einer länger anhaltenden Ausnahmesituation auch viele Branchenakteure die Effekte der dargestellten Marktturbulenzen vermehrt zu spüren bekommen.

Der Nachfragerückgang verbunden mit den stark gesunkenen Börsenstrompreisen wird dabei absehbar unter anderem die Betreiber konventioneller Energieerzeugung, und damit insbesondere die großen Energieversorger, treffen. Da üblicherweise ein Großteil des erzeugten Stroms am Terminmarkt mit üblichen Laufzeiten von bis zu zwei Jahren verkauft wird, zeigt sich in der gegenwärtigen Ergebnissituation der Produzenten allenfalls ein geringer Corona-Effekt. Dieser dürfte sich dann jedoch verzögert in den Zahlen der zweiten Jahreshälfte 2020 bzw. des Geschäftsjahrs 2021 niederschlagen, wobei das Ausmaß von der Dauer und Intensität des Nachfrage- und Preisrückgangs abhängen wird.

Im Unterschied zu konventionellen Stromerzeugern sind Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien sowohl mengenseitig durch die vorrangige Einspeisung des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen als auf der Preisseite durch die garantierten Einspeisevergütungen weitgehend geschützt. Zwar werden derzeit öffentlich Diskussionen über eine Entlastung von Verbrauchern und Unternehmen durch eine Reduzierung der – infolge von sinkenden Börsenstrompreise zukünftig rechnerisch steigenden – EEG-Umlage geführt, allerdings ist unwahrscheinlich, dass eine solche Entlastung über einen Eingriff des Gesetzgebers in die garantierten Einspeisevergütungen umgesetzt würde.

Gas- und Stromnetzbetreiber sind durch die Regulierung über die Erstattung der Netzkosten sowie eine festgelegte Eigenkapitalverzinsung preisseitig über die Dauer einer Regulierungsperiode geschützt. Über das Regulierungskonto sind sie des Weiteren grundsätzlich gegen Auslastungs- bzw. Mengenrisiken abgesichert. Anfallende Mehr-/Mindererlöse gegenüber der Erlösobergrenze werden auf dem Regulierungskonto verbucht und im Laufe der nächsten Regulierungsperiode ausgeschüttet. Die gegenwärtige Situation könnte gleichwohl verzögerte Auswirkungen auf die Ertragssituation von Netzbetreibern haben. Hintergrund ist, dass für die im Jahr 2023 (Gas) bzw. 2024 (Strom) beginnende vierte Regulierungsperiode das Jahr 2020 (Gas) bzw. das Jahr 2021 (Strom) das sogenannte „Basisjahr“ für die Bemessung der zukünftigen Erlösobergrenze darstellt. Bei einer länger anhaltenden Mindernachfrage könnten sich also (unveränderte Berechnungsweise vorausgesetzt) eine nachfrageinduzierte Verminderung der Erlösobergrenzen für die kommende Regulierungsperiode ergeben, allerdings ist eine seriöse Abschätzung derzeit noch nicht möglich.

Sinkende Erlösobergrenzen könnten auch viele Stromversorgungsunternehmen, die häufig im Besitz von Strom- und Gasverteilnetzen sind, darunter viele Stadtwerke, treffen. Inwieweit Stromversorger bereits kurzfristig einem Corona-Effekt ausgesetzt sind, hängt zum einen von der individuellen Kundenstruktur ab. So dürften Stromversorger, die wesentliche Teile ihres Stroms an Unternehmen liefern, dem Nachfragerückgang stärker ausgesetzt sein, als solche, die weit überwiegend Privathaushalte versorgen. Den Preisrückgang dürften die meisten Stromversorger auf der Ertragsseite aufgrund der langfristigen Vertragsbindung derzeit noch kaum spüren. Eine Weitergabe des Preisverfalls an Endverbraucher konnte bisher nicht beobachtet werden. Vielmehr haben viele Stromanbieter an zuvor angekündigten Preiserhöhungen, die zum 1. Mai 2020 gültig wurden, auch weitgehend festgehalten. Je nach Stromeinkaufsstrategie (eher spotmarkt- oder eher terminmarktorientiert) könnten Stromversorger überdies kurzfristig ihre Kosten senken. Allerdings wird es spannend sein, zu beobachten, wie sich die Wettbewerbssituation in den nächsten Monaten entwickelt und ob es insbesondere im Wettbewerb um Neukunden nicht doch zu nennenswerten Preissenkungen kommt. Überdies bestehen perspektivisch erhöhte Risiken für Forderungsausfälle, da viele Endkunden in finanzielle Schwierigkeiten geraten dürften.

Übergreifend sind Unternehmen (Stromhändler, Stadtwerke, stromintensive Unternehmen) beeinträchtigt, die in der Vergangenheit zu höheren Preisen Strom am Terminmarkt erworben haben und nun aufgrund des gesunkenen Strombedarfs gezwungen sein könnten, den Strom zu nun deutlich niedrigeren Preisen wieder verkaufen zu müssen („Rückvermarktung“).

4) Fazit

Im Unterschied zu vielen anderen Wirtschaftszweigen wird zumindest in Deutschland die Energiebranche als Teil der Daseinsvorsorge auch in der derzeitigen Ausnahmesituation als weitgehend stabil wahrgenommen. Gleichzeitig befinden sich die nationalen und internationalen Energiemärkte seit März dieses Jahres in erheblichen Turbulenzen, Nachfrage und Preise sind teilweise massiv eingebrochen. Aufgrund der großen Unsicherheit über die Dauer und Intensität der volkswirtschaftlichen Nachwirkungen dieser weltweiten Ausnahmesituation, sind belastbare Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, dass einige Branchenteilnehmer verzögert von den Auswirkungen der Corona-Krise getroffen werden könnten. Angesichts der unabhängig von der gegenwärtigen Krise großen Herausforderungen für die Energiebranche, empfiehlt sich mehr denn je eine vorausschauende Unternehmensstrategie, um auf sich ständig ändernde externe Einflüsse schnell und angemessen reagieren zu können.