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Prozessoptimierung

Unternehmen ohne Chefs?

Prof. Dr. Friedrich Vogelbusch Prof. Dr. Friedrich Vogelbusch

In unserem Branchen Navigator vom vergangenen Dezember haben wir Ihnen Business Reengineering für kommunale Unternehmen vorgestellt. In diesem Beitrag beleuchten wir das in jüngster Zeit vermehrt diskutierte Konzept der Holokratie.

Definition und Begriffsabgrenzung

Holokratie ist ein von Brian Robertson entwickeltes Organisations- und Führungskonzept. Dabei werden Entscheidungen transparent durch alle Ebenen hindurch und mit partizipativen Beteiligungsmöglichkeiten in Netzwerken getroffen. Holokratisch geführte Unternehmen werden durch ihren Zweck und ihre Aufgabe bestimmt. Ganzheitlich bestimmen diese das unternehmerische Arbeiten. Dagegen treten die Hierarchie und die Führung durch den Vorgesetzten in den Hintergrund. Etwas reißerisch wird Holokratie unter den Schlagworten „Unternehmen ohne Chefs“ oder „Cheflos arbeiten durch das ganze Jahr“ diskutiert.

Grundsätzliches Konzept

Bei der Holokratie werden Stellenpläne und Organigramme abgeschafft. Die Kompetenz, Entscheidungen zu treffen, wird nicht bei Führungskräften gebündelt, denen eine Position gehört und die einer Abteilung vorstehen. Stattdessen wird das Unternehmen dezentral in sogenannten Kreisen organisiert, die aus Rollen bestehen. Diese ergeben sich aus den Aufgaben des Unternehmens und knüpfen an feste Verantwortlichkeiten an. Das Prinzip der Partizipation und Dezentralität ist wichtig. Hiernach organisieren sich die Kreise, zu denen die Rollen zusammengefasst werden, selbst. Sie entwickeln neue Rollen, definieren Rollen um oder schaffen andere ab. Dies erfolgt mit direktem Bezug zu den konkreten Arbeitsaufgaben. Dezentrale Kompetenzen können zum Beispiel in sich selbst steuernden Teams umgesetzt werden.

Die vier Säulen des Konzepts

Charakterisierend sind vier Säulen des Konzepts:

  • Doppelte Verbindung/double-linking (gegenseitiger Austausch der Kreise über Vertreter)
  • Trennung von operativen und Steuerungstreffen (Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse definieren)
  • Rollenverteilung (klar definierte Rollen und Zuständigkeiten)
  • Dynamische Steuerung (integrative Ideen- und Entscheidungsfindung)

Das holokratische Konzept fördert flexible Entscheidungen der betroffenen und beteiligten Mitarbeiter. Wenn sich eine festgelegte Struktur- und Aufgabenverteilung in der Praxis nicht bewährt, wird nach neuen Vorschlägen gesucht und neu entschieden. Es gibt keine perfekte Lösung – es kann jederzeit nachgesteuert werden.

Rollen und Kreise im holokratischen Management

Die Kreise und die dort übernommenen Rollen sind charakteristisch für die Ordnung der Kompetenzen und Strukturen. Das Holokratiekonzept erlaubt eine funktionsbasierte Organisation mit klarem Fokus auf die jeweils zu erledigende Aufgabe. In klassischen, hierarchisch aufgebauten Aufbauorganisationen dagegen können die Über- und Unterordnung von Stellen und der Status eines Stelleninhabers im Zentrum stehen. Im Übrigen kann ein Mitarbeiter verschiedene Rollen übernehmen und in mehreren Kreisen tätig werden. Kontinuierlich werden die Rollen überprüft und weiterentwickelt, so dass immerfort eine dezentrale und dynamische Organisationsentwicklung stattfindet. Die zu erledigende Aufgabe steht dabei immer Fokus. Es können jederzeit Rollen verändert, abgeschafft oder neu gebildet werden.

Für das Organisationsdesign werden den Kreisen einzelne Aufgaben zugeordnet. In den Teams strukturieren sich mehrere Rollen. Jeder Kreis verfügt über einen Lead-Link und einen Rep-Link. Als Vertreter des Kreises wird die Funktion eines Lead-Link geschaffen. Er setzt Prioritäten, ordnet die Rolle zu und gibt eine Strategie vor. Wenn Fragen zu außenstehenden Kreisen und Rollen geklärt werden müssen, übernimmt dies der sogenannte Rep-Link. Er hat die ausdrückliche Verantwortlichkeit, Probleme und Optimierungsmöglichkeiten, die nicht im eigenen Kreis gelöst werden können, an den umfassenderen Kreis zu richten.

Die Rolle des Rep-Links und des Lead-Links sind jeweils vollwertige Mitglieder in den Meetings beider Kreise. So entsteht eine ebenso agile wie geordnete Kommunikationslandschaft von innen nach außen und außen nach innen. Die Mitglieder der Kreise entsenden Vertreter in die größeren Kreise, die wiederum Vertreter in den generellen Unternehmenskreis entsenden. Im generellen Unternehmenskreis werden die strategischen Unternehmensentscheidungen getroffen. Robertson bezeichnet die Mitglieder des Government-Kreises „Core Circle Members“. Zu Beginn der Tätigkeit ratifizieren die Initiatoren die Holokratische Verfassung. Die Initiatoren bilden den sogenannten Anker-Kreis, der den Zweck des Unternehmens festschreibt und die organisatorischen Grundlagen für die Zusammenarbeit klärt.

Drei Arten von Meetings in der Holokratie

Jeder Kreis hat einen Zweck und kennt seine Ziele. Die Koordination erfolgt autonom. Sie wird begleitet durch intensive Meetings, die klaren Regeln folgen. Die Arbeit wird in und durch regelmäßige Treffen synchronisiert. Folgende Meeting-Arten sind besonders wichtig:

  • Operative oder taktische Besprechungen
  • Themenspezifische Meetings
  • Steuerungsbesprechungen

Dem Konzept der Holokratie liegt ein basisdemokratischer Ansatz zugrunde. Diese Regeln werden transparent in einer Art Unternehmensverfassung festgehalten und allen zugänglich gemacht. Jeder Mitarbeiter verpflichtet sich, diese Regeln einzuhalten.

Robertson fasst die Verfassung in einem Regelwerk mit fünf Artikeln zusammen:

  • Was ist eine Rolle?
  • Strukturierung nach Kreisen
  • Führungsprozess
  • Operative Prozesse
  • Verpflichtung auf die Verfassung

Mit seinen zahlreichen Ausführungsbestimmungen ist die komplexe Verfassung eine sehr aufwändige Grundlage. Kritiker haben die Verfassung als „Achillesferse“ dieses New-Work-Ansatzes bezeichnet.

Holokratie als Organisationsform der Zukunft?

Das Konzept steckt noch immer in den Kinderschuhen und ist weltweit noch nicht sehr verbreitet. In den USA wenden etwa 300 Unternehmen die Holokratie an, wie zum Beispiel Zappos. In Deutschland werden vorrangig Start-up-Unternehmen genannt, wie zum Beispiel Blinkist oder mymuesli.

In der Praxis ist ein gemischtes Bild zu beobachten, wenn man nach innovativen Ansätzen fragt, die modernen dezentral ausgerichteten Management-Konzepte in Kommunalen Unternehmen umzusetzen.

  • Für junge und dynamische Start-ups kommen innovative Konzepte sicherlich in Frage, um neue Anforderungen zu erfüllen. Diese werden oft als agile und holokratische Unternehmen strukturiert. Start-Ups stehen ihrerseits vor der Herausforderung, junge Mitarbeiter frisch von der Universität oder aus der Ausbildung zu übernehmen. Diese Absolventen erwarten ein dynamisches Unternehmen mit hohen Partizipationsmöglichkeiten und flexiblem Einsatz.
  • Bestehende kommunale Unternehmen werden eher auf eine „hybride Organisation“ setzen. An die feste Struktur (mit Hierarchie und traditionellem Managementverständnis) werden neue Abteilungen bzw. Bereiche angedockt, die für eine Einführungsphase innovative Aufgaben wie bei einer Projektorganisation übernehmen können. Auf diese Art und Weise wird dem bestehenden Organismus „frisches Blut“ zugeführt, ohne dass die ganze Hierarchie und die bestehende erfolgreiche Unternehmensorganisation aufgelöst werden muss.

Für die erfolgreiche Implementierung des holokratischen Managementkonzepts benötigen die Mitarbeiter ausgeprägte soziale Kompetenzen. Darüber hinaus muss großer Wert auf gut ausgebildete und zur Verantwortungsübernahme bereite Mitarbeiter gelegt werden.

Wie eingangs ausgeführt, versucht das Konzept der Holokratie einen dritten Weg zwischen autokratischer und rein demokratischer Arbeitsorganisation einzuschlagen. Dies ist nach Ansicht des Verfassers nicht nur für junge Existenzgründer im digitalen Bereich und anstehende Projekte eine ernst zu nehmende Alternative. Die Frage nach dem in der heutigen Umwelt und mit den heute am Arbeitsmarkt verfügbaren (jüngeren) Mitarbeitern besten Organisationsprinzip und der Verteilung der Kompetenz (Macht) zwischen der verantwortlichen Leitungskraft und den die Arbeit ausführenden Teams stellt sich neu.

Deshalb sollte das Konzept der holokratischen Organisation allen kommunalen Leitungskräften bekannt sein. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Holokratie als Managementkonzept weiter durchsetzen wird. Mit Sicherheit kann jedoch angemerkt werden, dass die kommunalen Unternehmen und zunehmend auch die Verwaltung vor große Herausforderungen gestellt werden.